Premiere auf dem höchsten Österreicher

Die allererste Hochtour auf den Großglockner – kann das gut gehen? Ja, und wie! Es braucht nur ein bisschen Vorbereitung und die richtige Begleitung. Ein Gastbeitrag von Judith Pointner. 

Der Großglockner. Er ist der höchste Berg Österreichs und einer der bedeutendsten Gipfel der Ostalpen. Er ist massiv, dominant, ambivalent. Und für viele Bergsportbegeisterte ist seine Besteigung ein lang gehegter Wunsch, ein ewig geträumter Traum. Nicht so für mich. Meine Alpinistinnen-Karriere steckt quasi noch in den Zustiegsschuhen. Hochtouren hatte ich, auch wenn ich in den vergangenen zwei, drei Jahren viel in den Bergen unterwegs war, noch nicht auf meinem Radar. Als mir Stefan die Tour vorschlägt, kann ich trotzdem nicht Nein sagen. Sein Argument, irgendwo müsse Frau ja anfangen, überzeugt mich zwar nicht vollständig, reicht aber für ein Ja. Das Leben ist zu kurz für irgendwann. 

Es geht ans Aufrüsten. Mitarbeiter diverser Online-Shops müssen schon gedacht haben, ich bereite mich auf eine Mount-Everest-Expedition vor, bei der Menge an Touren-Hosen, die ich probehalber bestellt habe. Lange Merino-Wolle-Unterhosen wandern ebenso in den digitalen Warenkorb wie ein neuer Klettergurt, ein Helm und ein farblich passender 30-Liter-Rucksack. Außerdem müssen steigeisenfeste Bergschuhe her, weshalb mich mein Weg dann doch aus dem virtuellen Raum in das real existierende Bergsport-Fachgeschäft meines Vertrauens führt. Mein Vorhaben kommentiert der Verkäufer mit überraschter Miene: “Deine erste Hochtour machst du auf den Glockner? Na, da hast du dir eh ordentlich was vorgenommen”. Leicht verunsichert und um rund 300 Euro ärmer, dafür aber mit einem passenden Paar Bergschuhen verlasse ich gut eine Stunde später das Geschäft. 

Kals am Großglockner, 15 Uhr, Sonnenschein. Und da stehe ich nun. Und vor mir steht er. 3798 Meter hoch, ein spitz zulaufender Koloss aus Schiefer und Eis. Mit einem löchrigen Mantel aus Schnee, auf einem Sockel aus saftig grünen Bergwiesen. Im Gepäck habe ich nicht nur meine nigelnagelneue Hochtourenausrüstung, sondern auch viele Fragen und einige Unsicherheiten. Stefan wird mir erstere mit einer Engelsgeduld beantworten und mir zweitere mit seiner entspannten Art nehmen. 

Einfach losgehen. Unsere Tour startet am großen Parkplatz beim Lucknerhaus auf gut 2000 Metern Seehöhe. Über die Lucknerhütte geht es bei wolkenlosen Himmel, schweißtreibenden Temperaturen und begleitet von pfiffigen Murmeltieren auf einem familienfreundlichen Wanderweg zum Tagesziel, der Stüdlhütte (2801 m), wo wir die anderen Tour-Teilnehmer treffen. Wie sich in den ersten Gesprächen herausstellt, haben sich einige von ihnen durch übermäßigen Konsum von Youtube-Videos, die den Glockner-Grat aus besonders schwindelerregenden Perspektiven zeigen, in leichte Panik versetzen lassen. Mein Kopf hat das in den Vorwochen auch ohne digitale Unterstützung geschafft. Alles halb so wild, wie sich tags darauf zeigen wird. Der Radler auf der Sonnenterrasse ist jedenfalls beruhigend und hochverdient. 

Antipasti und Tiramisu. Zu den größten Überraschungen der Tour zählt vielleicht das kulinarische Angebot auf der Stüdlhütte, das sich gut und gerne mit einem Vier-Stern-Hotel messen kann. Neben vier köstlichen Hauptgängen füllen Salatbuffet, italienische Antipasti, Creme-Suppe und Dessert-Variationen die Mägen der hungrigen Glockner-Aspiranten. “All you can eat” auf fast 3000 Metern Seehöhe. Die 38 Euro, die das Hüttenpersonal für die Halbpension verrechnet, sind angemessen. Denn auch das Frühstücksbuffet, das uns um 5 Uhr Früh nach einer kurzen und geräuschsintensiven Nacht im Matratzenlager für den bevorstehenden Gipfelsturm stärkt, kann sich sehen lassen. Müsli, Eierspeise, Mozzarella, Rohschinken – hungrig geht hier keiner los. 

Stüdlhütte, 5.45 Uhr. Der Klettergurt sitzt, die Stirnlampe leuchtet. Bei Dunkelheit geht’s über eisige Steinplatten in Richtung Gletscher. Dort zeigt sich dann das, was die Instagram-Jugend heutzutage als “Candy Sky” bezeichnen würde. Die Sonne geht auf und taucht den Himmel in sanfte Rosa- und Orange-Töne. Es wird ein guter Tag. 

Wir seilen uns an und gelangen gemütlich zu den ersten Seilsicherungen, wo uns der Gletscher erstmals tiefe Einblicke gewährt. Eine große Spalte muss umgangen werden, damit wir über die seilversicherten Passagen zur Erzherzog-Johann-Hütte, Österreichs höchster Schutzhütte auf 3454 Metern, aufsteigen können. Der “Klettersteig” ist fast schneefrei und für Trittsichere ohne Schwierigkeiten zu bewältigen. 

Wird’s jetzt heikel? “Bis zur Adlersruhe alles kein Problem” – diesen Satz habe ich so oder so ähnlich in mehreren Vorgesprächen mit bergerfahrenen Bekannten gehört. Ab der Erzherzog-Johann-Hütte beginnt der anspruchsvollere Teil der Tour. Über einen flachen Rücken kommen wir zum bis zu 40-Grad-steilen Glocknerleitl, das es heute gut mit uns meint. Bei schöner Schneeauflage gelangen wir im Zickzack schnell höher – vom gefürchteten Blankeis keine Spur. 

Fast geschafft. Am Grat heißt es klettern (einzelne Stellen mit Schwierigkeit II) mit Steigeisen und in Seilschaft. Beides ist neu für mich. Ungewohnt, aber machbar. Vom vielzitierten “Stau” an den Schlüsselstellen (angeblich besteigen an einem schönen Sommertag bis zu 500 (!) Menschen den Gipfel) merken wir nichts. Die Tour unter der Woche und etwas außerhalb der Hauptsaison anzusetzen, hat also durchaus Sinn gemacht.  

Aussichtsreich. Oft hab ich mich in den Vorwochen gefragt, wie ich mich am doch recht ausgesetzten und vor allem höchsten Grat Österreichs fühlen werde. Werden meine Knie weich? Wird mir schwindelig? Bekomme ich es mit der Angst zu tun? Nichts davon ist der Fall. Das Gefühl ist einfach nur wahnsinnig gut. Noch besser wird es, als wir den Gipfel erreichen. Höher geht es hierzulande nicht. Weiter kann man nirgendwo sehen. Die ungetrübte Aussicht vom Großglockner gilt als die weiteste aller Berge der Ostalpen. Sie reicht rund 220 Kilometer weit, hat mir Wikipedia verraten. Das Leuchten in meinen Augen reicht vielleicht sogar noch ein bisschen weiter. Und da weiß ich: Meine letzte Hochtour war das sicher nicht. 

Perfektes Timing. Erst beim Abstieg – das Hinunterklettern mit Steigeisen und dabei auf das Tempo der anderen in der Seilschaft zu achten, ist für mich vielleicht der schwierigste Teil der Tour – ziehen Wolken auf. Auf den letzten Metern zum Parkplatz erwischt uns noch ein kurzer Regenschauer. Die vielen schönen Eindrücke der letzten 24 Stunden wäscht er sicher nicht weg. Und die Unsicherheiten, die ich am Vortag noch in meinem Gepäck hatte, habe ich übrigens eingetauscht. Gegen die Vorfreude auf die nächste Tour.